Emma & ich – Ein schönes Leben hinter Plexiglas
Emma wird im April 2008 auf der Straße geboren. Irgendwo zwischen den ersten Frühlingsblumen, vielleicht auch in einem dunklen Schuppen oder auf einem alten Industriegelände, keiner weiß es so genau. Wie leider immer noch viel zu viele Katzen in Deutschland, ist sie von Geburt an eine Straßenkatze. Die kleine, grau getigerte kommt nicht als „normale“ Katze auf die Welt. Im doppelten Sinne, wie sich später herausstellen wird.
Geschrieben von Patrice
Kurz nach ihrer Geburt werden Emma und ihre Geschwister mitsamt der Mutter ins Tierheim Roggendorf gebracht. Emmas Mutter wird nach der Aufzucht der Kleinen kastriert und wieder an ihrer Futterstelle freigelassen, denn wilde, scheue Straßenkatzen haben ganz miserable Vermittlungschancen und leiden unendlich, wenn man sie plötzlich einsperrt. Bei den Katzenkindern sieht es da schon besser aus. Alsbald sind die süßen Kleinen vermittelt und bekommen die Chance, ein gutes Leben fernab der Straße zu führen. Auch die kleine Emma findet ein Zuhause. Doch das Glück währt nicht lange. Die neuen Besitzer stellen bald fest, dass das niedliche Kätzchen einen „Fehler“ hat. Es läuft überall dagegen! So wird Emma im wahrsten Sinne des Wortes umgetauscht. Man hätte ja schließlich nicht für so eine „Fehlproduktion“ bezahlt.
Nun sitzt Emma wieder im Tierheim und hat fürchterliche Angst. Denn ihr merkwürdiges Verhalten hat einen nachvollziehbaren Grund: Emma kann nichts sehen und weiß nicht, was um sie herum passiert. Es ist einfach dunkel in Emmas Leben, sie ist blind. Und in der Folge mit allem überfordert, was andere Katzen so machen. Spielen, herumtoben… für die kleine, zarte Emma ist das alles viel zu viel. Gott sei Dank ist Emma niedlich genug, und trotz ihres Sehfehlers kommt sie in den nächsten Haushalt. Denn ganz ehrlich, getigerte Katzen mit Behinderung sind bei der Vermittlung nicht gerade der erste Wunsch von Interessenten. Emma kommt also wieder in eine neue Umgebung, die es zu ertasten gilt, mit neuen Menschen, neuen Gerüchen, ohne Orientierung. Zudem stellt Emma schnell fest, dass der Kater, der schon im Haushalt lebt, wenig Verständnis für ihr merkwürdiges Verhalten hat. Sie hat panische Angst vor ihm und weiß ohnehin nicht, wie man sich anderen Katzen gegenüber „richtig“ verhält. Und auch die spielenden Kleinkinder sind alles andere als eine hilfreiche Orientierung in Emmas dunklem Leben. Sie kann sich einfach nicht einfinden in der neuen Familie, läuft wieder ständig gegen die Möbel. Also wird sie wieder abgegeben.
Nachdem Emma ein paar Monate im Tierheim sitzt und voller Angst hofft, von den anderen miauenden Wesen um sich herum in Ruhe gelassen zu werden, wird sie wieder vermittelt. Ein Glücksfall: Jemand mit Verständnis und Geduld nimmt sich ihrer an. Emma fühlt sich wohl in ihrem Zuhause und lebt sich gut ein… bis das Schicksal erneut zuschlägt und Emmas neue Katzenmutti drei Monate später plötzlich verstirbt.
Die blinde Katze und ich: Schönes Leben hinter Plexiglas.
Emma soll also wieder ins Tierheim. Das war der Moment in dem ich dachte: „Das kann doch jetzt nicht wahr sein“. Diese arme Katze ist gerade mal neun Monate alt und hat schon so viel mitgemacht. Blind und auf der Straße geboren, dann ins Tierheim, dann in ihr erstes Zuhause, dann wieder Tierheim, dann nächstes Zuhause, dann wieder neues Zuhause und jetzt wieder ins Tierheim? Ich konnte nicht anders. Obwohl ich schon einen nicht ganz so einfachen „Problemhund“ Zuhause habe, nahm ich Emma mit zu mir, damit sie endlich in Ruhe leben kann und das Herumgereiche ein Ende hat.
So saßen wir also bei mir Zuhause, die blinde Katze und ich. Erst einmal musste ich sie mit meinem Hund Ice bekanntmachen, den ich einst aus dem Tierheim Roggendorf geholt hatte, und mit meiner Huskymix-Hündin Neva. Die drei kamen Gott sei Dank unkompliziert zurecht. Spätestens, als Emma das erste Mal aus Ice´s Futternapf fraß, während der hungrig daneben hockte und ziemlich dösig aus der Wäsche guckte, war ich mir sicher, dass ich mir keine Sorgen machen musste. Mein „Problemhund“ würde der „Problemkatze“ nichts tun.
Emma hatte ja auch wirklich genug Baustellen. Tapfer tastete sie sich durch ihre neue Umgebung. Ich versprach ihr immer wieder, es würde das letzte Mal sein, dass sie sich an Neues gewöhnen muss. Ich wollte Emma die Möglichkeit geben, sich jederzeit in unserem großen Garten aufzuhalten, aber alles darüber hinaus wäre zu gefährlich. Ich habe also für sie den gesamten Gartenzaun mit Plexiglas und Kaninchendraht ausbruchsicher gemacht. Es sieht fürchterlich hässlich aus, aber was soll´s. Emma liebt es draußen zu sitzen und den Vögeln zu zuhören. Es macht mich glücklich, sie dabei zu beobachten. Das ist jede Mühe wert. Dominante Katzen machen Emma weiterhin große Angst. Gott sei Dank ist immer jemand Zuhause, wenn Emma im Garten unterwegs ist, und sie flüchtet dann oft hinein, wenn sie andere Katzen riecht. Ihre Panik macht mir das Herz wirklich schwer, aber das muss sie alleine meistern. Sie weiß genau wo sie hinlaufen muss, wenn es brenzlig wird, und das tut sie auch in einem Affenzahn. Ich bin stolz auf sie, wie gut sie mittlerweile den Garten kennt und wie selbstsicher sie sich dort bewegt.
Emma ist bis heute sehr schmächtig und klein und keine gute Esserin (im Gegenteil, eine kleine Mäkeltante), aber sie wirkt glücklich. Sie kommt schmusen und schläft bei mir im Bett. Sie macht einen unendlichen Radau, wenn sie eine wehrlose Socke am Wäscheständer „erlegt“ hat, und ich lobe sie natürlich immer dafür. Einmal ist ihr eine tote Libelle auf den Kopf gefallen. Ich glaube, sie ist vor stolz über ihren Jagderfolg fast geplatzt. Und ich vor Lachen.
Wegen ihrer Blindheit hatte ich dennoch immer ein komisches Gefühl. Ich beobachtete Emma sehr genau, lernte sie und ihr andersartiges Verhalten zunehmend besser kennen. Mir fiel auf, dass sie ihren Kopf schräg hielt und dass sie, sobald sie über den Rasen oder den Teppich ging, Gleichgewichtsprobleme bekam. Ich ließ sie regelmäßig vom Tierarzt untersuchen, aber der konnte außer der bekannten Blindheit nichts feststellen. Emma ging es gut, bis zu jenem Tag, als ich sie im Garten fand: Sie drehte sich wie wild, sabberte, pinkelte und war nicht ansprechbar. Auch als das Kreisen aufhörte, war sie nicht wirklich zurück im Leben. Sie war völlig orientierungslos, und ihr Herz raste wie verrückt. Mein Tierarzt schickte mich direkt weiter zu einer Augenspezialistin. Denn ihr Anfall hätte etwas mit dem Augendruck zu tun haben können, und dieser sollte gemessen werden.
Dort gab es eine Überraschung: Bei der Augenspezialistin wurde nicht nur festgestellt, dass Emmas Augendruck in Ordnung ist, sondern auch, dass ihre Augen zu aller Überraschung voll funktionsfähig sind – aber Emma tatsächlich nichts sieht. Das war so einer dieser Tierarztbesuche, die mehr Fragen aufwerfen als sie Antworten liefern. Die Spezialistin gab mir die Karte eines Neurologen, Emma musste zum CT. Der Tierarzt war von dem Ergebnis ganz begeistert. Aus wissenschaftlicher Sicht jedenfalls. Denn auf dem Bildschirm zeigte er mir Emmas Gehirn. Oder das, was halt da war, denn Emma ist nicht nur einfach blind, nein, Emma hat nur ein ¾ Gehirn. ¼ fehlt halt einfach. Deshalb sieht sie auch nichts, obwohl ihre Augen funktionieren. Es gibt in ihrem Kopf einfach kein Areal, das die ankommenden Bilder verarbeiten kann. Das restliche Gehirn versucht das fehlende Stück zu ersetzen, kann dies aber nicht in Gänze. Außerdem hat Emma eine Zyste im Gehirn. Diese wird mal größer und mal kleiner. Wenn sie wächst, löst das bei Emma einen epileptischen Anfall aus.
Der Neurologe geht davon aus, dass die Ursache in der Schwangerschaft der Mutter zu suchen ist. Oder besser gesagt, dass die Mutter Medikamente bekommen hat, bevor sie zum Kitty-Projekt kam, die bei schwangeren Tieren nicht genutzt werden dürfen. Beispielweise eine Impfung. Aber 100%ig kann man das nun nicht mehr feststellen. Gerade wenn die Mutter eine auf der Straße lebende Katze ist, kann es verschiedene Möglichkeiten geben. Sie hätte auch etwas Schädliches zu sich genommen haben können, oder, oder, oder.
Drei Dinge lehrt uns Emmas Geschichte
Erstens: All das ist Emma wiederfahren, weil jemand einst seine unkastrierte Katze ausgesetzt hat. Emmas Mutter war eine Straßenkatze, ihre Kitten dazu verdammt, ebenfalls ein hartes Leben auf der Straße zu führen. Ein Dasein, das man keiner Katze wünscht und das durch Kastration und einem verantwortungsvollen Umgang mit seiner Katze hätte verhindert werden können. Auch wenn ich meine Emma sehr lieb habe, so hätte ich mir für sie gewünscht, dass ihr all das Leid erspart geblieben wäre. Es sollte Katzen wie Emma gar nicht geben, die auf der Straße geboren werden.
Zweitens: Tierhaltung bedeutet Verantwortung. Das heißt auch, dass man sich Problemen stellt, statt sie ans Tierheim abzugeben. Emma wurde stattdessen durch viele Hände gereicht, einfach weil sie anders war und niemand sich die Mühe machen wollte, nachzuschauen, warum! Wer das in Ordnung findet, sollte sich besser keine Tiere anschaffen.
Drittens: Hauskatzen mit Freigang müssen kastriert und gekennzeichnet werden! Das ist die Ursache allen Übels! Denn Straßenkatzen sind verwilderte Hauskatzen, die sich unkontrolliert vermehren. Für ihr Leid trägt einzig und allein der Mensch die Verantwortung. Und das muss sich ändern!
Deswegen bitte ich Sie, liebe Leser:
Klären auch Sie Ihre Freunde, Verwandten und Bekannten über die Wichtigkeit der Kastration auf. Emmas Geschichte ist nur ein Beispiel für das Leid, das daraus entsteht. Und für die meisten Straßenkatzen und ihre Nachkommen gibt es leider, im Gegensatz zu meiner Emma, kein Happy End.